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Ernst Troeltsch-Gesamtausgabe (Troeltsch KGA)

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Engagierter Theologe, Kulturhistoriker, Religionssoziologe und Geschichtstheoretiker

Der protestantische Theologe und Gelehrten­politiker Ernst Troeltsch vertrat das Konzept einer radikal kritischen, historisch informierten Theologie als normativ orientierter Kulturwissenschaft des Christentums. Seine Rolle sowohl in der evangelischen Kirche als auch in den Diskursen europäischer Intellektueller und in der deutschen Politik des frühen 20. Jahrhunderts hat nachhaltige Wirkung gezeitigt. Weitgehend initiiert von britischen, japanischen und nordamerikanischen Theologen und Kulturwissenschaftlern erfährt das Werk von Ernst Troeltsch seit den 1970er Jahren wachsende Aufmerksamkeit. Diese Entwicklung rückte schließlich auch das Schaffen des Kulturhistorikers, Religionssoziologen und Geschichtstheoretikers Troeltsch in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Humanistische Bildung und gelebte Christlichkeit

Ernst Troeltsch wurde 1865 in Haunstetten als ältester Sohn in eine gutbürgerliche Arztfamilie geboren. Sein Vater, Dr. med. Ernst Troeltsch senior stammte aus einer alten, prominenten Augsburger Kaufmannsfamilie, seine Mutter Eugenie Koeppel aus einer Nürnberger Arztfamilie. Gemeinsam mit drei Schwestern und einem Bruder wuchs der junge Ernst Troeltsch in einem Elternhaus auf, das durch bildungsbürgerliche Wertorientierungen, christlich motivierte Karität und protestantisches Arbeitsethos geprägt war.

Troeltsch besuchte das Humanistische Gymnasium bei St. Anna, wo er die intensive altsprachliche Bildung als eng verbunden mit ernsthaft gelebter Christlichkeit erfuhr. Von den 32 Schülern seiner Klasse entschieden sich 17 für ein Studium der Evangelischen Theologie. Die Schule prägte Troeltsch stark: Noch als Unterstaatssekretär im Preußischen Kultusministerium trat er 1920 für die Stärkung des Humanistischen Gymnasiums ein.

Studium in Erlangen, Berlin und Göttingen

Den Militärdienst verband Troeltsch mit einem Philosophie-Studium am katholischen Lyzeum in Augsburg. Im Oktober 1884 begann er mit dem Studium der Evangelischen Theologie an der konservativ-lutherisch geprägten Erlanger Fakultät. Nach zwei Berliner Semestern, in denen Troeltsch auch Heinrich von Treitschke hörte, studierte er in Göttingen vor allem bei Albrecht Ritschl, nahm aber auch Paul de Lagardes religionsreformerische Visionen einer neuen deutschen Nationalreligion zur Kenntnis.

Die studentische Sozialisation in der nichtschlagenden Erlanger Theologen-Verbindung Uttenruthia und ihrer Göttinger Schwesterverbindung Germania war durch harte Konflikte über die Möglichkeiten einer genuin christlichen Lebensführung in der Moderne geprägt. Dem ersten theologischen Examen im September 1888 folgte am 1. Oktober 1888 ein einjähriges Vikariat an St. Markus in München.

Neue religionshistorische Methoden

Mit der Lizentiaten-Dissertation über „Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Philipp Melanchthon“ konnte sich Troeltsch im Februar 1891 in Göttingen habilitieren. Die Promotionsthesen zeigen ihn bereits als den systematischen Kopf der sogenannten „Religionsgeschichtlichen Schule“, eines Zirkels Göttinger Privatdozenten, die die evangelische Theologie durch neue religionshistorische Methoden zu einer modernitätskompatiblen Kulturwissenschaft umzuformen versuchten.

Troeltsch machte schnell und erfolgreich akademische Karriere. Schon zu Beginn des Jahres 1892 erhielt er einen Ruf auf eine außerordentliche Professur für Systematische Theologie in Bonn. Hier knüpfte er enge Kontakte zu jüngeren Geisteswissenschaftlern anderer Disziplinen, die ihn für all jene Fragen sensibilisierten, die mit dem zunehmend schnelleren gesellschaftlichen Wandel, insbesondere der Durchsetzung der modernen kapitalistischen Ökonomie, der Erosion des überkommenen Kirchenglaubens, dem Siegeszug der Naturwissenschaften und der Dominanz historischen Denkens in den sogenannten Geisteswissenschaften verbunden waren.

Ordinarius für Systematische Theologie in Heidelberg

Im Alter von nur 29 Jahren wurde Troeltsch zum 1. April 1894 als ordentlicher Professor für Systematische Theologie an die Universität Heidelberg berufen. Die Heidelberger Fakultät hatte sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts als intellektueller Vorort des protestantischen religiösen Liberalismus international hohes Ansehen erworben. In Heidelberg hatte Troeltsch das große Glück, enge Kontakte zu bedeutenden Philosophen, Juristen und Historikern knüpfen zu können, die seine analytische Sensibilität für die kulturellen Umbrüche in den kapitalistisch geprägten europäischen Gesellschaften schärften. In diversen Gesprächszirkeln suchte man gemeinsam nach neuen orientierungskräftigen Antworten auf die „Krise der Moderne“.

Begegnung mit Max und Marianne Weber

Die enge, aber auch konfliktreiche Fachmenschen-Freundschaft mit dem nahezu gleichaltrigen, aber gewiss genialeren Nationalökonomen Max Weber und seiner Frau Marianne, einer führenden Vertreterin der liberalen Frauenbewegung, erschloss Troeltsch neue geistige Welten. Durch Weber, mit dem er im Sommer 1904 in die USA reiste, sah sich Troeltsch zur Auseinandersetzung mit der sich formierenden Soziologie provoziert. Der Freund verhalf ihm zu schärferen Diagnosen der Spannungen zwischen den heterogenen Wertsphären von Ökonomie und Religion.

Kritische Protestantismusdeutung

Eine für Paul Hinnebergs „Kultur der Gegenwart“ verfasste, erstmals 1906 veröffentlichte Gesamtdarstellung „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ sowie ein beim Stuttgarter Historikerkongress 1906 gehaltener Vortrag über „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ wurden schnell zu Klassikern einer kulturhistorischen Protestantismusdeutung. In den „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ legte Troeltsch eine knapp 1000 Seiten umfassende, bis an die Grenze der kulturellen Moderne um 1800 reichende Gesamtdarstellung der sozialen Gestaltungskraft des christlichen Ethos und seiner vielfältigen Beeinflussung durch unterschiedliche Formen religiöser Vergesellschaftung vor.

Scharfe Kritik an den evangelischen Landeskirchen

Den gegebenen evangelischen Landeskirchen, vor allem in Preußen, warf Troeltsch vor, in ihrer Nähe zum monarchischen Staat und ihrem extrem engen Bündnis mit den feudal-konservativen Machteliten nur eine „Herrenreligion“ zu predigen und gerade so einem politisch motivierten Antiklerikalismus Vorschub zu leisten. In zahlreichen Schriften zum Verhältnis von Staat und Kirchen sowie zur „religiösen Lage der Gegenwart“ trat er für eine „elastisch gemachte Volkskirche“ mit starker religiöser Autonomie des Individuums ein.

Anhänger einer bürgerlich-liberalen Reformpolitik

Seit 1900 gewann Troeltsch im Heidelberger Gelehrtenmilieu schnell an großem Einfluss. Im Alter von 41 Jahren wurde er Prorektor der Universität und damit deren höchster Repräsentant. Seit 1909 vertrat er die Heidelberger Universität in der Ersten Badischen Kammer. Als Anhänger einer bürgerlich-liberalen Reformpolitik, die die Integration der Sozialdemokratie in die deutsche politische Kultur vorantreiben und mit Blick auf die wachsenden Spannungen zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich Friedenssicherung fördern sollte, engagierte Troeltsch sich im Landesvorstand der Nationalliberalen Partei, für die er auch im Heidelberger Stadtrat ein Mandat übernahm.

Anerkennung in Forschung und Lehre

Auch als Forscher und akademischer Lehrer erwarb er viel symbolisches Kapital: 1908 und 1909 nominierten ihn sowohl die Theologische als auch die Philosophische Fakultät der Berliner Universität primo loco für bedeutende Lehrstühle. Aufgrund seiner sozialhistorischen Arbeiten erhielt er von der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald und der Juristischen Fakultät der Universität Breslau die Ehrendoktorwürde. 1912 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1914 auf Vorschlag des Historikers Erich Marcks zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt.

Erster Weltkrieg und Weimarer Republik

Im Krieg verstärkte Troeltsch wie viele andere deutsche Intellektuelle sein politisches Engagement. 1915 folgte er einem Ruf als Ordinarius für „Kultur-, Geschichts-, Gesellschafts- und Religionsphilosophie und christliche Religionsgeschichte“ nach Berlin. Außenpolitisch wahrte Troeltsch insgesamt eine relativ moderate Position. Innenpolitisch trat er seit 1915/16 für Parlamentarisierung, Integration der Sozialdemokratie, Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts und Demokratisierung ein. Im Anfang 1918 gegründeten „Volksbund für Freiheit und Vaterland“ kämpfte er für einen schnellen Verständigungsfrieden und substantielle politische Reformen.

Unterstaatssekretär für Kultur- und Kirchenpolitik

Nach Niederlage und Revolution wurde Troeltsch zwar kein Demokrat aus prinzipieller Gesinnung. Aber er trat nun entschieden dafür ein, die neuen politischen Realitäten zu akzeptieren. Troeltsch galt einige Zeit als Kandidat für das Amt des Reichspräsidenten, engagierte sich in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei als Berliner Spitzenkandidat bei den Wahlen zur Preußischen Nationalversammlung, ging als Abgeordneter der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung dann als Unterstaatssekretär vor allem für Kultur- und Kirchenpolitik unter Konrad Haenisch (SPD) ins Preußische Kultusministerium und konnte hier die rechtliche Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirchen entscheidend mitgestalten.

Früher Warner vor einem deutschen Faschismus

Angesichts des wachsenden Einflusses der radikalen Rechten wandelte sich der Vernunftrepublikaner zu einem Gesinnungsrepublikaner, der die sozialmoralischen Grundlagen des neuen Gemeinwesens zu festigen suchte. Ernst Troeltsch, ein Freund Walther Rathenaus, war der erste deutsche Intellektuelle, der vor dem „deutschen Faszistentum, bei uns Hakenkreuzer genannt“, warnte. Gelinge es nicht, das protestantische Bürgertum für die Republik zu gewinnen, werde Deutschland in zehn Jahren „eine Diktatur der Faszisten“ haben, erklärte er 1922.

Fünf Wochen nach der Auslieferung des ersten Buches von „Der Historismus und seine Probleme“, das unter dem Titel „Das logische Problem der Geschichtsphilosophie“ die formale Geschichtslogik behandelte, starb Ernst Troeltsch am Morgen des 1. Februar 1923 in seiner Wohnung am Reichskanzlerplatz 4.