Kritische Gesamtausgabe
der Werke von Ernst Troeltsch
Ernst Troeltsch (1865–1923) zählte zu den einflussreichsten Gelehrten im späten Kaiserreich und in der frühen Weimarer Republik. Seine umfassenden kulturwissenschaftlichen Fragestellungen erwuchsen aus den Problemen einer modernen historisch-kritischen Theologie. Eine kritische Theologie, die die Denkrevolutionen der Neuzeit ernst nahm, musste christliche Geltungsansprüche auf neuen Wegen begründen. Troeltsch engagierte sich für eine „elastisch gemachte Volkskirche“, eine Kirche, die sich nicht über Lehre und Dogma definiert, sondern über einen die Konfessionsgrenzen überschreitenden ökumenischen Austausch von Gläubigen, die sich einem je eigenen Christentum der Gesinnung verpflichtet fühlen.
Troeltsch wollte die christliche Überlieferung ohne jede dogmatische Einschränkung dem kritischen geschichtlichen Blick freigeben. Durch radikale Historisierung suchte er zugleich ihre bleibende Gegenwartsbedeutung zu erweisen. Sein Werk ist von der Überzeugung geprägt, dass das Christentum in der europäisch-amerikanischen Kultur einen unverzichtbaren Garanten der Freiheit des einzelnen gegenüber allen freiheitsbedrohenden Tendenzen der Moderne darstelle. In der Moderne sah Troeltsch die alten Soziallehren der christlichen Kirchen am „harten Stoff der sozialen Wirklichkeit“ scheitern, er erkannte die Gefahr, die von diesem Scheitern ausging.
Als erster deutscher Intellektueller warnte Troeltsch schon Anfang der 1920er Jahre vor dem Aufbruch der deutschen Faschisten. Einige Jahre später suchten die Nationalsozialisten sein geistiges Erbe zu vernichten, was ihnen beinahe gelungen schien. Erst durch das Wiederauffinden zahlreicher Dokumente Anfang der 1980er Jahre erfuhr Troeltschs Werk erneut große wissenschaftliche Aufmerksamkeit.
Mühsame Suche nach dem weit verstreuten Nachlass
Ernst Troeltsch veröffentlichte zahlreiche politisch-analytische Schriften. Sein weit gespanntes Werk umfasst Texte zur Theologie und Philosophie, Kulturgeschichte und Politischen Ethik sowie zur praktischen Politik. Seine Zeitdiagnosen sind bis heute ein wertvoller Fundus für die zeitgeschichtliche Forschung.
Eine vom Bundesarchiv und von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in den Jahren 1951 bis 1959 betriebene aufwändige Suche nach Troeltschs Nachlass blieb lange ohne Erfolg. Bis zu Beginn der 1980er Jahre ging man deshalb davon aus, dass Troeltschs Nachlass im Krieg vernichtet worden sei. 1982 entdeckten Horst Renz und Friedrich Wilhelm Graf jedoch zahlreiche an weit entlegenen Orten publizierte Texte sowie Manuskripte und einige Handexemplare von Troeltschs Büchern und Essays, in die Troeltsch zahlreiche Ergänzungen, Korrekturen und Erweiterungen und oft mehrseitige Nachträge für weitere Auflagen notiert hatte.
Internationales Gelehrtengremium engagiert sich für eine Gesamtausgabe
In- und ausländische Gelehrte verschiedener kulturwissenschaftlicher Disziplinen traten seit Mitte der 1980er Jahre deshalb dafür ein, das weit verstreut publizierte Werk Ernst Troeltschs unter Einschluss der handschriftlichen Materialien in einer kritischen Gesamtausgabe zugänglich zu machen.
Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften bildete sich ein Herausgebergremium, dem neben Friedrich Wilhelm Graf die Professoren Volker Drehsen, Gangolf Hübinger und Trutz Rendtorff angehörten. 2002 ging die Edition von der Heidelberger Akademie an die Bayerische Akademie der Wissenschaften über.
Nach dem Tod Volker Drehsens und Trutz Rendtorffs wird die bei De Gruyter in Berlin und Boston erscheinende Kritische Gesamtausgabe der Werke Ernst Troeltschs im Auftrag der Kommission für Theologiegeschichtsforschung unserer Akademie nun von Friedrich Wilhelm Graf und Gangolf Hübinger herausgegeben.
Die Kritische Gesamtausgabe
Die Ernst Troeltsch Gesamtausgabe ist eine kritische Ausgabe sämtlicher Schriften und gedruckten Reden Ernst Troeltschs. Sie umfasst insgesamt 26 Bände und enthält alle von Ernst Troeltsch im Druck veröffentlichten Texte, die überlieferten handschriftlichen Korrekturen und Zusätze, seine Diktate zu Vorlesungen sowie seine Parlamentarischen Reden und Debattenvoten zunächst in der Ersten Badischen Kammer und später in der Verfassunggebenden Preußischen Nationalversammlung. Darüber hinaus bietet die Gesamtausgabe bislang unveröffentlichte Texte: die überlieferten Briefe Troeltschs mit den entsprechenden Gegenbriefen, autobiographische Dokumente, akademische Gutachten sowie politische Gutachten.
Förderung
Von 2006 bis Ende 2018 wird das Projekt an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen des Akademienprogramms gefördert.